The Miller House and a Slice of cake or Life shortly before Disaster, 2012 und die Giostra-Serie, 2013
Text: Maja Weyermann, übernommen aus einer Dokumentation, 2013
Bilder sind genuin gesellschaftlich, nicht nur weil sie in einem bestimmten sozialen Kontext entstehen, sondern auch, weil dieser selber sich ohne die Produktion von Bildern nicht konstituieren ließe.
Produktion, Bild/Medien und Rezeption sind eng ineinander verschlungen.
Maja Weyermanns Arbeit stellt sich dieser Komplexität auf besondere Weise, weil ihre computergenerierten „Interieurs“ die soziale Konstruiertheit von Räumen durch Wahrnehmungskategorien zum Ausgangspunkt wählt.1
In Ihren neusten Arbeiten knüpft die Künstlerin an frühere Arbeiten wie z. B. Absence (2000) oder FWH 2 (Farnsworth House 2, 2004) an und führt ihre Auseinandersetzung mit Räumen kultureller Erinnerung weiter (The Miller House and a Slice of cake or Life shortly before Disaster).
In der Giostra2-Serie konzentriert sich Weyermann auf das Verhältnis von Ursprung und Verankerung dieser Räume in unserer Erinnerung. In Ergänzung zu ihren Bildern über das Atelier (Atelier, 1999, Taller 1 und Taller 2, 2004) bezieht sich Weyermann in Giostra auf einen Ausstellungsraum und öffnet so einen Spannungsbogen zwischen Intimität und Öffentlichkeit, zwischen Kreation und Repräsentation und zwischen Entwurf und Geschichte.
The Miller House and a Slice of cake or Life shortly before Disaster bezieht sich auf Eero Saarinens modernistische Residenz für John Irwin Miller und seine Frau Xenia Miller. Das Gebäude steht in der Nähe von Columbus in Indiana. Saarinen nimmt im Miller House Bezug auf die Stahl- und Glasarchitektur von Mies van der Rohe, insbesondere auf das Farnsworth House. Das Miller House vereinigt die wichtigsten Aspekte der internationalen, modernistischen Ästhetik, wie den offenen, fließenden Grundriss, ein flaches Dach sowie große Stein- und Glaswände. Auch der in der Serie Giostra simulierte Ausstellungsraum lehnt sich an diese Architektursprache aus den 1950er- und 1960er-Jahren an, die bis heute als wichtige Bezugsgröße dient.
Weyermann konfrontiert die architektonischen Räume mit Filmszenen aus La Dolce Vita (1960, Fellini), L’Avventura (1960, Antonioni) und Shadows (1959, Cassavetes). Alle drei Filme waren radikale Erneuerungen. Nie dagewesene narrative Techniken schockierten in ihrer Kompromisslosigkeit das damalige Publikum und provozierten zum Teil heftige Ablehnung. Heute jedoch zählen sie zweifellos zu den modernen Klassikern der Filmgeschichte.
Die Filme porträtierten auf unterschiedlichen Ebenen die Unfähigkeit der Protagonisten zur Kommunikation in einer stagnierenden Gesellschaft im Zustand des Unter- oder Übergangs.
Die zitierten Ikonen der Architektur- und Filmgeschichte – vormals Avantgarde, heute prägende Bestandteile unseres kulturellen Selbstverständnisses – verweisen auf den Zusammenhang zwischen der Macht der Repräsentation und dem Ideal einer autonomen Kunst.
In einem für beide Werkserien von Weyermann neu entwickelten, virtuellen Modell werden der filmische und der architektonische Raum ineinander verschachtelt. Das Spiel mit Verzerrungen und Verdoppelungen löst die Figuren aus der Erzählebene und verweist auf den filmischen Raum, der sich durch Bewegung in der Zeit entwickelt. Er verschmilzt in vielfältigen Überlagerungen mit der simulierten Architektur und lässt in unserer Wahrnehmung einen traumartigen, multiperspektivischen und fraktalen Raum entstehen.
1 Siepen, Nicolas: „Abstraktes Leben auf virtuellen Baustellen“, in: free frame cuts, Ausst.-Kat. Galerie Koch und Kesslau, Berlin 2003, o. S..
2 Italienisch für Karussell, Turnier.